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Mittwoch, 30. August 2017

Mein Ich, vergänglich








Mein Ich, vergänglich

Die Insel ist mir zugeschwommen.
Ich fand sie entblößt im Wasser treibend,
kahlgeschoren von Menschen wie Zugvögel, und mit Narben
nur in meine Pupillen gezeichnet
lebe ich hier
mein nicht öffentliches Leben.
Vor dem Tellerrand meiner Jahre
knickt die Brandung ein und leckt mir die Füße,
und wie die Liebenden einander beim Abschied entsagen,
hat sich alles entfernt,
die Schiffe schieben am Horizont Kulisse,
ich winke sie weg von einem Bildende zum anderen
bis hin über die Grenze
des Vergessens, was von dort zurückschaut, trifft mich hier nicht mehr an.
Landeinwärts bin ich die Bastion.










aus: Nicht für die Luft geboren, Weilerswist 2015 (S. 66)
Text © Annette Hövelmann








U.






Das ganze Leben © Erika Neviandt-Neumann






U.

Unter meiner Schädeldecke
schwimmt zerbeult mein Gedächtnis,
Hafen für Empfang und Abschied,
ungenau erzählen ihm meine Augen die Welt,
ein Vorhang, die Tränen verschleiern die Sicht,
waschen Bilder ab, geflutet sind Anfang und Ende.
In welchen Tresor legte ich dein schwarzes Haar?
Und wohin verpackte ich deine Küsse?
Meine Erinnerungen sind im Labyrinth der Kammern versteckt.
Nicht mit deinem Tand geschmückt,
stehe ich nackt da,
der Mond lenkt sein Licht von mir weg.
Vor Urzeiten schnitt man ihm die Locken,
von seinem Gold getrennt ist er blass,
legt Schleimspuren, linkt Sterne.
Aus bleichen Laken greife ich nachts in die Ferne,
un-fassbar und federleicht ist das Nichts.












aus: Nicht für die Luft geboren, Weilerswist 2015 (S. 62)
Text © Annette Hövelmann










Montag, 28. August 2017

Die Ballade vom verlorenen H.








Die Ballade vom verlorenen H.


Die Welt warf sich dir entgegen
wie eine große Flut.
Deine Augen durchgängig gemacht
mischten ihr Salz mit deinem roten Blut auf,
bis das Herz die Trommel schneller schlug.
Schon empfingst du die Weihen der Nacht.
Träume rissen dich in gestaltlose Tiefe,
wo du nur dir selbst begegnetest. Wer warst du?
Die Flügel der Lider trugen dich in die flache Landschaft zurück
dünn wie Papier, sie zerbrach in der Zwinge
von Erde und Himmel, presste Bilder zu Frakturen,
bis kein Unterscheiden mehr war.
Deine vielen Münder sprachen weiter Worte.










aus: Nicht für die Luft geboren, Weilerswist 2015 (S. 21) 

Text und Bild © Annette Hövelmann












Ich lege den Finger auf die Wunde und brenne











Ich lege den Finger auf die Wunde und brenne


Ein leergefegter Himmel.
Jetzt rutscht der Sturm vom First ab,
greift sich Ziegel, das Haus zerschlägt sein Porzellan,
und auf der Straße liegt wundgescheuert
und aufgeplatzt das Dach.
An roten Kammern schimmerts
wie Blut – ein warmer Ton –.
Schön gefärbte Wunden wurden beim Bauen vermauert
                                                                   und verputzt.
Sie schöpften in Eimern das Blut ab (damals).
Es floss ins Innere der Erde, ihr Kern ist fiebrig und glüht.






aus: Nicht für die Luft geboren, Weilerswist 2015 (S. 32)

Text und Bild © Annette Hövelmann








Sonntag, 27. August 2017

Nachts















Nachts wache ich bei absoluter Dunkelheit auf.
Mein Gehirn, der verdeckte Ermittler,
sitzt in der Erinnerung an eine alte Geschichte fest.
Das eingespielte Team Herz-Puls signalisiert Gefahr.
Dort, wo mich die Uhr an meinem Handgelenk festhält,
verläuft sich die Welle entlang der Blutbäche zur Peripherie.
Sie ist auf Flucht aus.
Die Ränder meines Körpers werden zur Verteidigungslinie.
(Aus geschlossenen Poren wachsen haarige Tentakel)
Mitternacht! Zahlencode 24
springt auf die 0.
Ich schlüpfe in den nächsten, noch unversehrten Tag.








aus: Nicht für die Luft geboren, Weilerswist 2015 (S. 16)

Text und Bild  © Annette Hövelmann 









Du gingst ohne Zögern







© Margarete Wenzler







Du gingst ohne Zögern,
bis Wasser deine Lippen küsste
und den Scheitel zwischen schwarzem Haar.
Es flutete rot die Lunge – das letzte Wehr
goss die Glut auf,
schmolz den Amboss im Kopf,
spülte dich mit Feuer,
bis die Träume gereinigt zu Boden sanken,
langsam erloschen ihre Farben,
im Netz deiner Haare noch dieses eine Bild.
Nun wohnst du in den dunklen Fluren der Meere,
es winkt mit deinem weißen Kleid,
und immer wirfst du mir Tränen vor die Füße.
Ach Alfonsina*, die Nacht wird dich halten,
das Dunkel liebt dich.





*Alfonsina Storni (1892 – 1938), argentinische Dichterin







aus: Nicht für die Luft geboren, Weilerswist 2015 (S. 70)

Text  © Annette Hövelmann 






























Ich spüre dich













Ich spüre dich
in meinem Blut. Tief im Innern
baust du ein Nest aus Wolkensaum
und Liebesherzen.
Dein Vogelleib ist hier zu Haus.
Er fliegt ein;
fliegt er aus?
Mein Blut ist seine Landebahn
– mein roter Schmerz –











aus: Nicht für die Luft geboren, Weilerswist 2015 (S. 22)

Text und Bild  © Annette Hövelmann